Sebastian 2  

 



   
Skulptur Sebastian 2
 
Ein derart Gescheiterter findet sich in Boehligs Werk auch in der Skulptur Sebastian. Gleichwohl sich dieser mit letzter Kraft aufzubäumen scheint, wird er doch sogleich tot hernieder sinken. Böhlig dringt hier in seiner plastischen Aussage bis an die Grenze des Möglichen vor, wie es Dr.  Barbara Lipps-Kant zu Recht in einem Katalog formulierte:
"Wegweisend, die Form in Frage stellend, aufreißend, die Oberflächenstruktur zufälliger und feingliedriger fassend, ein hochgestreckter Sebastiantorso (Bronze), die Figur einer Figur...Reflektion des Leidens, Reflektion der Geschichte, Reflektion einer archaischen Form. Boehlig hat hier den Realismus hinter sich gelassen, dennoch finden sich zwischen dem ersten und den beiden Strandgutfiguren Gemeinsamkeiten. Die Verbindung liegt in der Verstümmelung der Körper. Es handelt sich hier um Varianten des Torso-Motivs."
 
 
Sebastian 2, 1980
Berliner Platz Stuttgart
Bronze, Betonkeil, lebensgroß

In den 1980 Jahren beschäftigt sich Ernst-Reinhart Boehlig intensiv mit dem Torso-Motiv. Ein Beispiel für Boehligs Auseinandersetzung mit diesem Motiv ist Sebastian. Boehlig hat das Werk nicht eindeutig als "Heiliger Sebastian" tituliert; dennoch spielt der Name auf diesen Märtyrer der christlichen Überlieferung an, der in den gängigen Darstellungen an einen Baum gebunden und von Pfeilen beschossen wurde. Schräg auf einem Sockel, weder sitzend noch liegend, mit verzerrtem Ausdruck findet man in den Grünanlagen vor dem Berliner Platz den schrundig modellierten, verstümmelten Körper des Sebastian.

Beschreibung
Auf einer Wiese neben der U-Bahnhaltestelle Berliner Platz ist auf einem trapezförmigen Betonsockel der Sebastiantorso in Bronze von Ernst-Reinhart Boehlig zu finden. Die Bronze ist nicht glatt, sondern rau und ungleichmäßig schrundig modelliert.

Sebastian ist etwa überlebensgroß und liegt auf der linken Seite der Hüfte. Seine Arme sind direkt an der Schulter abgetrennt, das linke Bein ist unterhalb des Knies abgeschnitten. Die rechte Zehe sinkt kraftlos nach unten, hat aber noch keinen Bodenkontakt. Sein Oberkörper liegt nicht auf dem Sockel auf. Sein haarloses Haupt reckt er nach oben - der schmerzverzerrte offene Mund suggeriert Leiden. Sein linkes Auge ist ausgestochen, das andere geschlossen, das unterstreicht den gequälten Ausdruck des Geschundenen. Überall am ganzen Leib erkennt man Blessuren und Einschnitte, die an von Pfeilen verursachte Wunden erinnern. Von vorne betrachtet sind noch einzelne Rippen, Knochen und Muskeln zu erkennen.

Sein geschundener Körper wirkt angespannt. Die Verstümmelung des Körpers parallelisiert das Leiden und die archaische Form. Beim Betrachten der Skulptur fühlt man sich an das letzte Aufbäumen vor dem Tod erinnert.

Unweigerlich vergleicht man Böhligs Sebastiantorso mit Darstellungen des Heiligen Sebastian. Der Märtyrer ist für gewöhnlich an eine Säule oder Baum gebunden und mit Pfeilen beschossen. Böhlig verzichtet bei seiner Darstellung auf die typische Position (sein Torso liegt auf einem Sockel), die Pfeile als Attribut (sein Sebastian weist nur Wunden auf) und zeigt den Sebastian als Torso in Bronze.

Obwohl von Böhlig nicht eindeutig als Heiliger Sebastian tituliert, kann man seinen Torso dennoch als modernen Märtyrer verstehen.